Die Farben des Weltgerichts
Meine Damen und Herrn,

über Uwe Appolds Zyklus Apokalypse ohne jede Voraussetzung zu reden, auch nur über ein einziges Bild dieses Zyklus, wie das, das Sie in dieser Kirche vor sich betrachten können, widerstrebt mir zutiefst. Es scheint mir sogar unmöglich zu sein, es sei denn, ich versteifte mich in der Annahme, dass Sie, die Zuschauer oder Zuhörer, bereits die Wahrheit der modernen Malerei voll in Besitz genommen hätten und jetzt nur noch darauf warteten, sich an bereits Bekanntem und Vertrautem zu erbauen. Auch die immer noch verhaltene Abwehr der modernen Malerei gegenüber in Teilen der Öffentlichkeit und vor allem die m.E. fehlenden oder ungenügenden Kriterien, um ein Werk der Moderne genügend beurteilen zu können, zwingen mich dazu, meinen Ausführungen über das Weltgericht einige erläuternde, vielleicht auch grundlegende Überlegungen voranzustellen.

Wenn wir von Moderner Malerei sprechen, meinen wir die Malerei der letzten 100 oder 150 Jahre, eine Malerei, die in die unterschiedlichsten Strömungen, Besonderheiten und Stilrichtungen zerfällt (z.B. Impressionismus, Expressionismus, ungegenständliche Malerei, Minimalismus, kritischer Realismus). Bei aller Heterogenität handelt es sich dennoch um eine Malerei, die einer anderen, nämlich der Alten Malerei als eine fremde gegenüberzustehen scheint. Die moderne Malerei negiert die Alte Malerei, widerspricht ihr im Wesentlichen, in dem, was unter einem Bild zu verstehen sei, wie es auszuführen und zu vollenden sei. Diesen Widerspruch kann und brauche ich wohl im Einzelnen nicht auszuführen, wir erleben ihn nämlich alle, betrachten wir ein modernes Bild. Ebenfalls haben wir ein untrügliches Gefühl dafür, ob ein Bild der alten oder modernen Malerei zuzuordnen ist.

Schauen wir auf Uwe Appolds "Weltgericht". Wir alle, davon bin ich überzeugt, ordnen dieses Bild mit unmittelbarer Gewissheit der Moderne zu. Und gewiss sind wir uns auch darin, dieses Bild als im Widerspruch zu Bildern vergangener Jahrhunderte zu wissen, wie sie uns im Raum der Kirche sonst überall begegnen. Haben wir uns an die Bilder alter Meister gewöhnt, möglicherweise nur oder vorwiegend mit Bildern alter Malerei umgeben und dabei Modernes ausgeschlossen, so wird uns dieser Widerspruch besonders stark treffen, weil wir vergeblich nach Vertrautem suchen und in diesem Widerspruch auch keinen Fortschritt der Malerei entdecken können. Wir werden wie Unerfahrene sein, wie Kinder, die es zwar schon gelernt haben, sich an der Schönheit einer Blüte zu erfreuen, ihr Verwelken aber und das Hervorbrechen der Frucht zunächst nur als Ende der Blüte erkennen und die Frucht nur als ihren Widerspruch. Erst wenn wir erkannt haben, dass Blüte und Frucht lediglich zwei Stufen, zwei Formen einer Entwicklung (Entwicklungsformen), einer Pflanze sind, dass die Pflanze, welche Formen sie auch durchläuft, immer erhalten bleibt, werden wir auch die Schönheit einer Frucht richtig erfassen können und in ihr nicht nur das Ende der Blüte, sondern auch den Fortgang der Pflanze, also die Bereicherung erkennen. Auf die Malerei übertragen hieße das, die Alte und die Moderne Malerei als eine Malerei aufzufassen, zu erkennen und anzuerkennen, dass die Formen, in welcher die Malerei jeweils erscheint, so unterschieden sie auch sein mögen, nur Formen einer Entwicklung sind und in allen Entwicklungsformen der Gegenstand der Malerei erhalten bleibt.

Der Gegenstand der Malerei nun, der Gegenstand, der allen Stilrichtungen der Malerei gemeinsam ist, also der allgemeine Gegenstand ist die Wirklichkeit. Die Malerei will die Wirklichkeit abbilden, - sie will sie wirklich abbilden, in all ihren Einzelheiten, Momenten und Verästelungen. Das mag sich bekannt und plausibel, ja selbstverständlich anhören, aber zunächst ist es nur eine Behauptung, eine bloße Versicherung, die erst durch meine späteren Ausführungen verstanden werden kann.

Wenn wir hören, dass die Malerei die Wirklichkeit malen will, erscheinen vor unseren Augen vielleicht die unendlich vielen räumlich begrenzten Dinge, Teilchen oder Formierungen, von denen wir glauben, dass sie in ihrer Summe das Universum, die Realität, die Wirklichkeit ausmachen. Aber dies, meine Damen und Herrn, diese für sich festen, unendlich vielen Formen und Gestalten sind nur eine Seite der Wirklichkeit. Diese Seite ist die Wirklichkeit der toten Hüllen, die der reinen Äußerlichkeit.

Schon der Ausdruck Wirklichkeit enthält das Wort wirken, was darauf hindeutet, die Wirklichkeit als Tätigkeit zu begreifen. Klarer und tiefer ist da die jüdisch-christliche Überzeugung, die die Wirklichkeit als Wirken Gottes begreift. Eine andere Wirklichkeit gibt es nicht. Seine Wirklichkeit ist seine Schöpfung und seine Geschichte - die mit seinem Volk (jüdisch). Seine Wirklichkeit ist seine Offenbarung und Fleischwerdung in Jesus (christlich) und Jesus wiederum, der wirkliche, wahre Jesus ist der Weg, das heißt Wirken und Leben. - Weltlich gesprochen ist die Wirklichkeit das Entstehen und Vergehen, das Verändern, die Bewegung, das Entwickeln, das zu Grunde gehen, das Leben, die Seele und der Geist (seelisches und geistiges Leben), und ein Maler, der die Wirklichkeit malen soll, will das Entstehen und Vergehen, das Leben oder das Wirken malen – und kein Modell.

Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herrn, ein Maler will einen Hammer malen, er will einen wirklichen Hammer wirklich malen und malt diesen so, dass das Bild im Werbeprospekt eines Baumarktes wegen seiner Naturgetreue Verwendung findet. Sie können sicher sein, dass dieses Bild keinen wirklichen Hammer abbildet. Ein wirklicher Hammer wäre das Hammer-sein, ein wirkender, hämmernder Hammer, niemals eine präzise dargestellt Hülle. Die Figur, die Gestalt gehört wohl zum wirkenden Hammer, aber sie ist das Äußerliche, nicht das Wirkliche, was das Innere wäre. Sie ist nicht das, was wir die Seele (des Hammers) nennen könnten. Dieses Innere aber will ein Künstler - und darin besteht die Kunst - malen. Ein Maler, der einen Hammer malt, will in Wahrheit das Hämmern malen, der der einen Computer, einen Rechner, malen will, will das Rechnen malen. Ein wahrer Maler will das Unsichtbare sichtbar machen (also die Bewegung, das Entstehen, die Veränderung, das Leben, das Tun).

Die große europäische Malerei vergangener Jahrhunderte ist wesentlich christliche Malerei gewesen. Ihr Anliegen bestand darin, die Wirklichkeit Gottes, zum Beispiel den wirkenden Jesus darzustellen. In der Alten Malerei blieb die Darstellung der Wirklichkeit Gottes immer an die Figuren, die räumlichen Gestalten mit scharfen Konturen gebunden. Damit aber unterlagen die Maler z.B. der Renaissance oder des Barocks nicht nur der Gefahr, nur bloße Hüllen darzustellen, sondern auch noch der Gefahr, diese Hüllen starr und unbewegt auf die Leinewand zu bannen. Nur den tatsächlich großen Malern der Vergangenheit gelang es vollendet - und darin besteht die Größe dieser Maler - durch die Farbgebung, durch die Beziehung der Farben und Formen zueinander, durch den Ausdruck, die starre Figürlichkeit, die Hüllen, zu etwas Unwesentlichem herabzusetzen und Lebendigkeit in die starren Formen zu bringen. Dennoch, indem die alte Malerei daran gebunden war, scharfe, realistische Formen zu malen, war selbst in den hervorragendsten Bildern das Geschehen, das Lebendige, auf einen Moment reduziert und in ihm gefangen. Die Zeit war entfernt. Die Bilder der Alten sind Bilder eines Moments und man könnte sie entsprechend den Momentaufnahmen der Fotografie, die in sich unbewegt, starr, tot sind, Momentabbildungen nennen. Wie gesagt, die alte Malerei war nicht in der Lage, das Problem der Abbildung der Bewegung, der permanenten Veränderung der Formen zu lösen. Die starre Konfiguration schien der Malerei immanent zu sein. Als schließlich im 19. Jahrhundert die bloße Figürlichkeit, ohne inneres Leben die Malerei zu bestimmen schien, wie wir es besonders in der Porträtmalerei am Hofe beobachten können, und der Zauber der Malerei zu einem hohlen Zauber verkam, die Malerei sich selbst zu Grunde richtete, begann die Moderne, indem von den fest umrissenen Formen abstrahiert wurde. Sie wurden weich und unscharf. Die toten Verhältnisse wurden zum Tanzen gebracht. In der Fotografie löste man das Problem der Starrheit der Einzelaufnahmen, indem die Bilder des Laufen lernten und der Film entstand.

Leonardo da Vinci
Versuchen wir, das Gesagte an einem Marien-Bild zu exemplifizieren. Was soll dargestellt werden? Was ist der Gegenstand dieses Bildes? Wenn wir sagen: Maria mit dem Kind ist das wohl richtig, aber nicht wahr. Der wirkliche Gegenstand ist die Liebe der Mutter (Maria) zu ihrem Kind. Die Liebe, dieses innere, seelische Tun soll sichtbar werden. Sie drückt sich aus in der Blickrichtung, in der Kopfhaltung, in der Mimik, in der Gestik, in der Farbgebung (die Farbe bringt das Gefühl, das seelische Leben ins Bild) und in der Beziehung der Farben zu einander. Um in diesem Bild die Liebe zu entdecken, müssen wir unsere Aufmerksamkeit von den bloßen Formen ablenken. Wenn wir nämlich beharren und in den naturgetreuen Formen, in der Figürlichkeit die Schönheit dieses Bildes zu finden glauben, dann suchen wir wohl die liebende Maria, finden aber immer nur eine unbewegte, tote Hülle. Ich zeige ihnen Ausschnitte anderer Marienbilder.
Nun geht es, wie gesagt, in der Malerei gar nicht darum, eine naturgetreue naturschöne Maria zu malen, sondern Marias Liebe und die kommt am besten zum Ausdruck, wenn von der detaillierten, bestimmten, festen Form abstrahiert wird, wenn die Figürlichkeit durchlässig, weich und unbestimmt wird, und die Farbe der Liebe oder Trauer bildbestimmend wird, wie sie es in den folgenden Marienbildern sehen.

Bei den eben zur Schau gestellten Marien-Bildern haben wir unseren Blick hierhin und dorthin gewandt. Unsere Aufmerksamkeit beharrte nicht in Äußerlichkeit des Figuralen. Wir haben, wenn auch nur für wenige Minuten, von den fixen Figuren abstrahiert und sind dadurch in die Tiefe der Bilder gegangen. Wir haben die Formen und Farben in Beziehung gesetzt. Wir haben uns den Farben ausgesetzt, kurz, wir sind der Wirklichkeit der Bilder gefolgt, haben sie gewissermaßen nachgemalt.

Genauso wollen wir es jetzt mit dem Weltgericht handhaben. Wir erwarten hier keine Figuren, keine festen äußerlichen Hüllen, sondern abstrakte Formen und lebendige Farben, die in sich und untereinander reflektiert sind und aufeinander beziehen. Wir erwarten das Wirken des Weltgerichts. Das Weltgericht wird vorgeführt, es ist Richten. Wir schauen dem Logos, der Auslegung der Formen und Farben zu. Wir folgen ihrem Weg. Wollen wir beginnen.


Danach sah ich einen großen weißen Thron und den Einen darauf thronen. Vor seinem Angesicht flohen die Erde und der Himmel, und sie waren nicht mehr zu finden.

Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen (hoch und niedrig), vor dem Thron stehen. Dann wurden Bücher aufgetan. Und ein anderes Buch wurde aufgetan: das ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet auf Grund dessen, was in den Büchern stand, nach ihren Werken.

Das Meer gab die Toten heraus, die es barg, und der Tod und das Totenreich gaben ihre Toten heraus, und alle wurden gerichtet nach ihren Werken.

Und der Tod und das Totenreich wurden in den Feuersee geworfen.

Das ist der zweite Tod, der Feuersee. Wenn jemand nicht in dem Lebensbuch geschrieben stand, wurde er in den Feuersee geworfen.

Vor uns haben wir den ganzen Reichtum eines Bildes in all seinen Formen und Farben. Diesen Reichtum haben wir wohl wahrgenommen, aber er ist noch nicht für uns, er hat sich noch nicht in seinen Besonderheiten und Einzelheiten für uns ergeben. Ist uns noch nicht bewusst. Zum letzteren bedarf es noch viel Mühe und Arbeit. Ein Hin- und Herschauen, ein wieder Innehalten, ein Nachdenken, ein erneutes Hinschauen. Zunächst haben wir nur unsere Aufmerksamkeit auf das Bild gerichtet, einen ersten Blick gewagt, und wir haben einen ersten Eindruck gewonnen.


Vor uns haben wir ein Ganzes, zwar ein Bild, aber es ist noch leer, es ist darin nichts enthalten. Es ist nichts als ein Bild. Es ist ein Ganzes für sich, das gegenüber einem Hintergrund, dem Kirchenraum, als Bild hervortritt.

Die Form, in der uns dieses Ganze entgegen tritt, entspricht nicht unseren Erwartungen. Wir kennen runde, mehreckige Bilder, die verschiedenartigsten Formen. Jedoch rechteckige sind uns in der Regel am vertrautesten. Hier dagegen treffen wir auf eine unerwartete, ungewöhnliche Form, an der wir, wären wir jetzt nicht bereit, auch Unerwartetes zu erwarten, mit großer Wahrscheinlichkeit achtlos vorübergegangen wären. Eine kurze Zäsur scheint vonnöten zu sein. – Lassen wir das Ganze auf uns einwirken. Wir erkennen in der Form ein auf den Kopf gestelltes Kreuz. Dazu bedarf es nicht großer Fantasie. Freilich ist es ein Kreuz, bei dem die Vertikale verschwindend klein ist, gewissermaßen verstümmelt und die Horizontale indessen überwältigend groß. So bleibt vorab bei dieser vermeintlichen Kreuzesform die Ungewissheit, ob es sich bei unserer Interpretation etwa nur um ein subjektives Dafürhalten ohne Objektivität handelt, ob dieses Kreuz nur eines ist, das wir zu sehen glauben oder eines, das dem Bild selbst angehört.

Erst wenn wir uns von unserem ersten Eindruck lösen und von der ganz abstrakten Form zu einer konkreteren fortschreiten, zeigt es sich, dass die Kreuzesform dadurch zustande kommt, dass zwei Rechtecke sich kreuzen. Schauen wir hin: wir haben ein großes Rechteck, das in der Mitte seiner Breite durch ein anderes, kleineres, schmales geteilt wird. Diese Teilung erfolgt hier allein durch die Formen. Später werden wir sehen, wie die Farben diese Teilung vertiefen. - Das ganze, eine Bild zerfällt also in zwei Formen, zwei Rechtecke, zwei Teile, die als eigenständige Ganzheiten aufgefasst werden können. Beide Teile werden im Bild ineinander gesetzt und zwar so, dass das große Rechteck geteilt wird. Das kleine Rechteck, kreuzt das große.

Nun zerfällt das Bild nicht nur in zwei Teile, zwei gleiche Formen, die ineinander verschränkt sind. Beide Rechtecke verhalten sich gegensätzlich, negieren und widersprechen sich. Das eine ist klein, das andere groß, das kleine ist Raum, das große Fläche, der Malgrund des kleinen Sperrholz, der des großen Leinwand, die Farbe des kleinen Metall, die Farbe des großen Kunststoff.

Das kleine ist aber das aktive. Es kreuzt das große, nicht umgekehrt. Aus dem großen Rechteck ist ein Stück herausgeschnitten worden, in das das kleine Rechteck exakt hineinpasst. Das kleine Rechteck drängt gewissermaßen in das große Rechteck hinein. Es teilt das große Rechteck, wobei die Teilung aber nicht vollendet wird. Die Tätigkeit kommt nicht zur Ruhe, sie dauert an. Das große Rechteck, obwohl auch aktiv, aber nur in seiner Passivität, im Nachgeben, ist das erleidende (passive). Es gehorcht dem kleinen, dem es sich unterwirft, eine Unterwerfung, die der Künstler, weil sie nicht vollendet wird, als eine permanente begreift.

Das kleine Rechteck ist jetzt in dem großen Rechteck. Es ist aber auch über dem Rechteck. Einmal ragt ein Stück dieses kleinen Rechtecks oben über das große Rechteck hinaus, zum anderen erhebt es sich räumlich über das große Rechteck. Damit wird das große Rechteck zum Hintergrund, es geht zugrunde, während das kleine Rechteck als bestimmender Vordergrund erscheint.

Allein durch das Ineinanderstellen, Kreuzen, zweier gleicher, aber unterschiedener Formen haben sich die unterschiedlichsten Beziehungen ergeben. - Der Farbe haben wir dabei bisher keine Beachtung geschenkt. Wenn wir ihr jetzt zuschauen, dringen wir tiefer in das Bild ein, setzen uns dem Bild zugleich aus und fühlen das abgebildete Geschehen mit.

Das kleine Rechteck ist golden. Es strahlt heller als Gelb. Es überstrahlt den Hintergrund, das große Rechteck, das verblasst. Für sich genommen ist das große Rechteck keineswegs blass, das ist es nur in Beziehung auf das goldene Strahlen des kleinen Rechtecks. Auch wir als Betrachter machen diese Beziehung mit. Fassen wir das goldene Strahlen ins Auge, strahlen wir selbst und lassen alles andere verschwinden. Nur noch das goldene Strahlen ist da.

Das kleine Rechteck ist der Eine (s. Johannes), - nicht der fixen Form, wohl aber dem Wirken, der Bedeutung nach.

Das große Rechteck, das wir jetzt genauer ins Auge fassen, ist das Zugrundegehen, das Verschwinden von Himmel und Erde. In diesem Rechteck, unserem Universum, wie wir sagen könnten, dominiert die Farbe Rot. Dieses Rot ist nicht gleichmäßig rein. Es unterscheidet sich in sich selbst, wird mal heller mal dunkel, mal wird es auch gelb. Im unteren Teil des Rechtecks wabert es schwarz und blau, kalt und tot. Auch diese Farben sind nicht sich selbst gleich, sondern in sich unterschieden. Vorwiegend gehen sie ineinander über, von Blau in Schwarz, aber auch von Schwarzblau in Gelb und Rot.

Mit der Farbe Rot verbinden wir die Farbe des Gerichts bzw. die Farbe des Feuers. Rot werden wir vor Wut, wenn wir wüten, auch wenn wir uns schämen, erröten wir. Rot ist das Verzehren, das Verbrennen in der Hitze. (Es gibt allerdings auch rosen-rot) Es ist das Feuermeer, das Johannes schaut. Es ist das Richten. Das Rot, das Feuermeer, das Richten beherrscht das Universum, ja das Universum, so wie es Uwe Appold malt, ist Richten. Alles, was sich sonst noch im großen Rechteck, im Universum Geltung verschaffen will, die schwarzblauen, kalten, toten, amorphen Massen werden verschlungen von der Glut. Wenn wir vom Standpunkt dieses düsteren Chaos verschlungen werden in der roten Hitze, wenn wir die Bewegung mitmachen, also den Farben und ihrem jeweiligen Ende, ihrem Wechsel, ihrer Negation, ihren Übergängen folgen, befällt uns ein Grauen. Nichts scheint hier Gediegenheit und Bestand zu haben. Im Feuermeer verschwindet alles. Die Mächtigen und Ohnmächtigen, die Lebenden und Toten werden in der Glut vernichtet.

Wenn wir genauer hinschauen, begegnen uns im großen Rechteck ganz unscheinbar, aber dennoch deutlich erkennbar, zwei Gestalten oder Konfigurationen: auf der rechten Seite ein himmelblauer Halbkreis, der dazu tendiert, über das Bild hinauszugehen, auf der linken Seite kaum mehr wahrnehmbar ein Zweig, wie wir ihn bei Uwe Appold häufig antreffen. Mit dem blauen Halbkreis können wir unschwer die Vorstellung des Himmels assoziieren, mit dem Zweig die Vorstellung des Lebens, der Hoffnung, der Erde. Himmel und Erde verbrennen im Feuer des Gerichts. Absolut nichts besteht. (Unserer Vorstellung nach verschwindet zwar auch alles Bestehende in einem schwarzen Loch. Aber es ist kein totales Verschwinden, nur ein Zusammendrängen auf einen Punkt) Das Verbrennen hier aber ist total.

Im großen Rechteck, im Universum ist alles in Bewegung, wie klar umrissen die Formen und rein die Farben im Einzelnen auch sein mögen. Hier ist der Ort des Gerichts. Hier wird alles, das heißt das gesamte Universum gerichtet, das himmlische und irdische Reich, das Lebendige und das Tote, die Vergangenheit und die Zukunft. Es ist Brennen, Verzehren. Aber es ist auch Hervorbrechen, Freigeben. Dieses düstere blauschwarze Gewimmel erhebt sich, breitet sich aus, - nach Johannes sind es die Lebenden und Toten -, und auch das Meer gibt die Toten frei. Aber alles wird unmittelbar vom Feuermeer verzehrt. Es gibt keine allmählichen Übergänge. Das Universum wie es Uwe Appold malt, ist Entstehen und Vergehen.

Aber auch dieses Entstehen und Vergehen, das Verbrennen wird verbrannt. Kehren wir, um dieses Geschehen im Bild Uwe Appolds zu erkennen, zum kleinen, goldenen Rechteck zurück. Es ist strahlendes, helles Gold, ein Gold, das sich teilt in kleine Flächen, Rechtecke, Quadrate, die wiederum in sich durch eine Vielfalt von hellen und dunklen Streifen, Einkerbungen, Schriftzeichen unterbrochen sind. Mit ihnen verbinden wir die Vorstellung von aufgeschlagenen Büchern – Sie sind das in der Offenbarung genannte Buch, - das Buch des Lebens. Die Geretteten, die ewig Lebenden und das Buch des Lebens, die 110 goldenen Tafeln, in dem sie verzeichnet sind, sind in dem Einen, im goldenen Rechteck, in eins gesetzt. Sie fallen zusammen. Sie sind bei dem Einen. Sie sind der Eine. Dieser Eine nun fährt in das Verbrennen hinein, überstrahlt, wie wir gesehen haben, das große Rechteck, das Richten, das Vernichten und macht es damit zunichte. Der Tod wird getötet. Es ist der zweite Tod von dem Johannes spricht. Der Tod des Todes aber ist das Leben. Im Vernichten des Vernichtens – also im Überstrahlen, nimmt der Eine die im Buch des Lebens Verzeichneten in sich auf. So von Uwe Appold in den Einen hineingesetzt, ist das kleine goldene Rechteck das Leben, das ewige Leben.

In dem ganzen Bilde gibt es keine Beständigkeit, keinen Halt. Es gibt nur das Zugrundegehen und das Leben. Aber das Zugrundegehen und das Leben werden in diesem Gemälde nicht einseitig als Teile gegenübergestellt, so dass das kleine Rechteck nur Leben und das Große nur Zugrundegehen wäre. Denn, wenn auch noch so versteckt, im Verbrennen, im großen Rechteck, begegnet uns das goldgelbe Strahlen. Es fällt nicht weiter auf. Wir müssen es schon suchen. Es ist mitten im Verbrennen, mitten im Chaos, mitten im Feuermeer. Anders ausgedrückt: mitten im Schreien der gequälten Kreatur strahlt das Licht des Lebens, der Eine. Er ist mittendrin. Dieses Weltgericht, so betrachtet, hat seine Ordnung. Gott ist mit und in allem.

Andererseits begegnet uns im goldenen, kleinen Rechteck, zu dem unsere Betrachtung zurückgekehrt ist, nicht nur rein der Eine. Er ist in sich reflektiert. Genau wie das Verbrennen oder das Feuermeer, den Einen oder das strahlende Gelb an sich hat oder in sich trägt, trägt auch der Eine das Verbrennen in sich. Der Eine nämlich, wenn Sie hinschauen, werden Sie es erkennen, ist geteilt in gold-gelb und blutrot. Während der Eine, das Gold (kleines Rechteck), im Verbrennen (im großen Rechteck) gewissermaßen versteckt ist, schwer zu entdecken, in seinen Konturen weich und überall zu finden, begegnet uns hier in dem Einen das Verbrennen, das Feuermeer als Grund, auf dem er 110fach erscheint. Das Goldene macht also das Rote zunichte oder verbrennt es, wenn wir in der Sprache der Apokalypse bleiben. So gesehen, ist dieser Eine dann wiederum das Vernichten (Verbrennen) des Verbrennens, der Tod des Todes oder das Erretten oder das Leben.

Wir haben mit dem Einen, der alles überstrahlt, begonnen. Zu ihm sind wir zurückgekehrt. Wir sind der Auslegung der Formen und Farben gefolgt. Haben uns dabei nicht verloren, verirrt in die unzähligen Details und Besonderheiten. Wir haben aber auch kein Ziel, das wir benennen könnten, erreicht, dafür aber sind wir einer Komposition von Formen und Farben so nachgegangen, dass im Begreifen und Auffassen aller Einzelheiten und in ihrem jeweiligen Vernichten wir immer eine Mitte gewonnen haben, gewissermaßen eine Melodie, die sich durch das ganze Erscheinen und Verschwinden erhält. Anders gesagt: wir sind dem Weltgericht, dem Richten, dem Vernichten und Erretten gefolgt, haben es an uns selbst, wenn wir denn nicht gestockt haben, erlebt, und dabei sind wir doch immer in der Mitte geblieben.

Das Weltgericht hat sich wie der Gesamtzyklus der Apokalypse als Kreis, bzw. als Kreisen ergeben. Das Weltgericht wird von Uwe Appolt als Verbrennen und das Verbrennen des Verbrennens dargestellt. Das Weltgericht wird hier in dem Bild als etwas Universelles aufgefasst. Es ist immer und total. Die Wirklichkeit, das hieße auch unsere Geschichte, das scheint mir die Aussage Uwe Appolds zu sein, ist Richten - Vernichten und Vernichten des Vernichtens, unendliche Gerechtigkeit.


Meine Damen und Herren, vieles, was dieses Bild ausmacht, habe ich nur am Rande erwähnt, vieles habe ich nicht zum Gegenstand meiner Ausführungen gemacht. Je weiter wir nämlich bei der Betrachtung des Bildes fortschreiten, je konkreter der Inhalt wird, desto komplizierter und schwieriger wird es. Zwar wird es auch, um in der Farbe des Bildes zu sprechen, immer strahlender, aber meine Damen und Herrn, ich muss mich hier beschränken und ich glaube, dass ich Ihre Geduld und Aufmerksamkeit bereits genug in Anspruch genommen habe. Dies, was ich hier andeute, das Fortschreiten vom Abstrakten zum Konkreten fortzusetzen, überlasse ich so Ihnen.

Zusammenfassend aber will ich folgenden Ausblick geben. Das Bild ist ein Prozess des Teilens und des Teilens der Teile. Das Bild teilt sich in unterschiedliche Materien. In eine unterschiedliche Art, dieses Material zu bearbeiten. Es teilt sich immer in zwei Teile, deren Wahrheit in der Mitte liegt. Wir haben zwei Rechtecke, von denen das eine sich zur Mitte bestimmt. In jedem Rechteck haben wir zwei bestimmende Farben, von denen die jeweils eine sich als Mitte, als bestimmend erweist und in jedem Teil der Teile treffen wir das Gleiche. Meine Damen und Herrn, ich danke Ihnen.


Konrad Gutschke