Apokalypse - Die Offenbarung des Johannes

Grundsatz: "Man muss nichts wörtlich nehmen, man muss alles ernst nehmen!"

Verfasser: unbekannter judenchristlicher Autor, der sich selbst im Vorwort Johannes nennt und eigene prophetische Berufung beansprucht. Er ist nicht identisch mit dem Apostel oder dem Evangelisten Johannes, da Theologie und Sprache unterschiedlich sind.

Entstehungszeit: ca. 95 n.Chr. -wahrscheinlich in der zweiten Hälfte der Regierungszeit Kaisers Domitian (81-96).

Entstehungsort: Insel Patmos, die unter röm. Kaisern als Verbannungsort genutzt wird.

Hintergrund: Spannungen zwischen den (juden-)christlichen Gemeinden und der hellenistisch-römischen Welt (unter anderem wegen des Kaiserkults).
Aber es gibt noch keine konkreten Christenverfolgungen, sondern örtliche Repressionen gegenüber Christen wegen des Vorwurfs christlicher Illoyalität gegenüber dem römischen Staat.

Gattung: Untergrundliteratur in verschlüsselter Symbolsprache wird politische Theologie betrieben.

Literarischer Bezug: Frühjüdische Apokalyptik-Literatur
Die Apokalyptik will durch symbolische Bildersprache die Macht und Andersartigkeit Gottes gegenüber der Welt und seine Unergründlichkeit beschreiben.

Stil: Symbolsprache mit Bildern aus der jüdischen Bibel, Symbolen der außerbiblischen frühjüdischen Apokalyptik und Allegorien.

Aussage: im Gegensatz zur jüdischen Apokalyptik kann die Apokalypse des Johannes behaupten: „Der Messias(=Christus) ist schon gekommen, das Reich Gottes hat schon begonnen.“ Nun geht es um die Vollendung und Auseinandersetzungen, die erwartungsgemäß damit verbunden sind.

Inhalt: Mythos mit Verteufelung des Gegners und surrealistischer Ausmalung eines Gegenentwurfs zur Realität (in einem dualistisches Weltbild).

Ziel: Die Apokalypse will die Christen bestärken.
Sie bietet
• Hoffnung und Zuversicht entgegen einer Resignation,
• Trost in Bedrängnis und
• Mahnung, sich und seinem Glauben treu zu bleiben.

Missverständnis: Die Apokalypse ist keine Informationsschrift und kein Freiraum für eigene Projektionen.
Die sprachlichen Bilder wörtlich zu nehmen, wird der Apokalypse nicht gerecht.

Engführung: Die Apokalypse nur als Phantasie oder Traum zu deuten, verkennt den theologischen Inhalt, der in dieser besonderen Sprachform vorliegt.

Wahrheit: Symbolisch wahr ist das, was als die Lebens-Welt be-deutend erfahren wird.

Folgerung: Von daher ist die Apokalypse ernst zu nehmen und für unsere Zeit zu deuten, damit sie ihre Bedeutung entfalten kann. Fasziniert hat sie zu allen Zeiten.

Beispiel: Hubertus Halbfas zitiert in seiner neuen Bibelübersetzung mit Kommentierung ein Gedicht von Julia Esquivél, das den Geist der Theologie der Befreiung in Lateinamerika wiedergibt und dort bedeutend ist:

Erntedanktag in den USA

Im dritten Jahr der Massenmorde
die Lucas und Konsorten
gegen die Armen in Guatemala begingen
wurde ich vom Geist in die Wüste geführt.

Und am Vorabend des Erntedanktages
hatte ich eine Vision von Babylon:
Die Stadt erhob sich stolz
über einer riesigen Wolke, von schmutzigem Qualm,
der den Fahrzeugen, den Maschinen
und Hochöfen entstieg.

Es schien, als ob das ganze Petroleum
der von den Herren des Kapitals
geschändeten Erde
verbrenne und langsam aufsteigen
und dabei unsere Gesichter verhüllen würde,
vor der Sonne der Gerechtigkeit
und vor Gott selber ...

Jeden Tag luden falsche Propheten
die Einwohner der schändlichen Stadt ein,
sich vor den Götzenbildern
des Bauches
des Geldes
und des Todes niederzuwerfen.
Götzendiener aller Völker
bekehrten sich zum American Way of Life ...

Der Geist sagte mir:
»Im Fluss des Todes
fließt all das Blut der vielen Völker,
die erbarmungslos geopfert
und tausendfach von ihrem Land vertrieben wurden.«...

Dreieinhalb Tage wurde meine Seele
gefoltert,
und eine große Mattigkeit legte sich mir
auf die Brust.
Wie tief mich das Leiden meines Volkes
schmerzte!
Da warf ich mich weinend nieder
und schrie: »Herr, was können wir tun? ...
Komm, Herr, ich will mit meinen
Brüdern sterben!«
Von allen Kräften verlassen,
erwartete ich die Antwort.
Nach einem großen Schweigen
und in tiefer Dunkelheit
sprach der, welcher den Thron besteigt,
um die Völker zu richten,
mit leisem Raunen
im Innersten meines Herzens:

Sie müssen vor ihrem Götzendienst
- zur Zeit und zur Unzeit -
gewarnt werden,
zwinge sie, die Wahrheit zu hören;
das, was den Menschen unmöglich ist,
ist möglich bei Gott.

Julia Esquivél